Lieber PV_Berlin, ich möchte es verstehen basierend auf nachvollziehbaren Fakten.
Erstmal ein Kommentar zu meinem privaten Umstieg weg vom Gas und vom Öl:
In unserer Familie haben wir ein neues Elektroauto und ein altes Dieselauto. Zu 90% der Kilometer wird jetzt elektrisch Auto gefahren, obwohl mir jede Menge (vermeintliche) Autoexperten (und Autoverkäufer) vorher erzählt haben dies wäre nicht möglich oder extrem teuer. Das Haus ist von Erdgasheizung auf Wärmepumpe umgestellt, obwohl es 200 Jahre alt ist und mir jede Menge Experten (z.B. Heizungsbauer) vorher erzählt haben es wäre unmöglich oder extrem teuer. Ich bitte aber auch zu respektieren, daß ich nicht zu 100% umgestiegen bin sondern nur zu 90%. Und ich bitte auch zu respektieren, daß jede Menge meiner Freunde und Nachbarn bei weitem noch nicht so weit sind zu verstehen, daß sie das gleiche machen könnten. Oder es nicht können, weil sie nicht die persönliche Kompetenz haben Dinge selber zu tun und / oder sich zu entscheiden. Ich bitte darum die gesellschaftliche Realität genauso zur Kenntnis zu nehmen wie das theoretisch technisch mögliche. Es geht nicht nur darum, was Du als Experte als das beste hälst, sondern darum was in der Gesellschaft möglich ist.
Bitte korrigiere oder ergänze im weiteren meine Aussagen jeweils einzeln, damit ich besser verstehe welchen Einzelpunkten du zustimmst und welchen nicht.
1) Ich gehe davon aus, daß wir über den Umstieg des heute real existierenden Elektrizitätsmarktes in Deutschland von Atomkraft und fossilen Energien auf vorwiegend regenerative Energien reden in einem Zeithorizont bis 2040 zu ca 90%.
2) Darüberhinaus gehe ich davon aus, daß auch der Mobilitätsmarkt - PKW und LKW - bis 2040 zu vermutlich 70-90% des Energieverbrauches auf Elektrizität umgestellt wird.
3) Ich gehe davon aus, daß es sinnvoll wäre den Wärmemarkt zu 80% von Erdöl und Erdgas auf Wärmepumpe und Pellets umzustellen. Wie schnell das in Wirklichkeit gehen kann ist mir persönlich im Moment ein Rätsel. Ich halte es für technisch und ökonomisch möglich und sinnvoll, zweifele aber nach meinen persönlichen Erfahrung stark an dem Willen und der Fachkompetenz der Marktakteure (z.B. Heizungsbauer). Wäre schön wenn Du eine Abschätzung abgeben könntest.
4) Falls der Umstieg aus 1, 2 und 3) zutreffen würde gehe ich davon aus, daß wir dafür zu 80% EE zur Verfügung stellen könnten und zu 20% weiterhin fossile Energien verwenden würden. Das wäre immerhin eine Reduktion der Verwendung von fossilen Energien in Deutschland im Vergleich zu heute von mehr als 80%.
5) Wenn 4) eintritt gehe ich davon aus, daß wir in 2040 keinerlei Kohlekraftwerke mehr wirtschaftlich betreiben können, weil diese dann auf deutlich weniger als 1000FLh kommen würden. In den USA zumindest und in England sterben die Kohlekraftwerke bereits jetzt aus wirtschaftlichen Gründen.
6) Ich gehe davon aus, daß wir erheblich fossile Kraftwerkskapazität bis 2040 zubauen müßten, weil die Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke wegfallen und weil wir im Winter erheblich mehr Kapazität brauchen um z.B. bei Dunkelflaute die Elektrizitätsversorgung sicherzustellen um z.B. dann die Wärmepumpen zu versorgen. Die FLh sind natürlich extrem gering.
7) Für 6) sind nach meinem Kenntisstand die billigste Variante ein Mix aus simplen Gasturbinen und GuD Kraftwerken und Dieselgeneratoren die man wahlweise mit Öl oder Erdgas betreiben könnte.
Das Gasverteilnetz wird bei Eintreten von 3) zu >90% zu teuer und wird verschwinden.
9) Das Gasfernnetz und die Gasspeicher wären selbst mit nur noch 20-30% Umsatz im Vergleich sehr günstig weiterzubetreiben.
Im Extremfall - als extremes Denkmodell - gäbe es nur noch die Pipeline aus Rußland nach Norddeutschland und dort Gasspeicher und Gaskraftwerke die den Strom dann eben in den Süden weiterleiten. Ob das dann billiger oder teurer ist als Öl in Hamburg anzulanden und vor Ort zu verstromen kann uns eigentlich total egal sein - für die Kraftwerke ist es komplett egal ob sie Öl oder Erdgas verstromen.
Warum sollte Öl billiger sein als Erdgas? Die Erzeugung und Logistik ist defacto nicht wirklich billiger als die Logistik für Öl.
Erdgas und Öl schrumpfen beide, also verlieren beide gleich an Scale of Economy. Ganz egoistisch ist es für Deutschland weiterhin am besten beide im Rennen zu lassen und beide gegeneinander preislich auszuspielen.