Nachdem ich mich ja schon immer gewundert habe, hier nun die Erklärung, warum WR untererregt fahren:
Blindleistung muss für die folgenden beiden Fälle unterschiedlich bereitgestellt werden:
a)Ausgleich von Blindleistungsverbrauchern (Asynchronmotoren) oder -quellen im Netz:
Der in den Verbrauchern verursachte Blindstrom fließt automatisch in Generatoren (oder anderen Verbrauchern) wieder durch die Wicklungen, irgendwo muss sich ja der Stromkreis schließen, dabei: phi Generator = phi Verbraucher (beide fahren im Normalfall induktiv, der eine als Erzeuger, der andere als Verbraucher).
Oder Blindleistungskompensation, damit er nicht so weit durchs Netz fließen muss, dabei phi Verbraucher = minus phi Kompensator (weil beides Verbraucher sind, kapazitiver Verbraucher gleicht induktiven Verbraucher aus.).
Das macht der Wechselrichter aber genau nicht!
b) Einsatz von Blindleistung, um die Spannung zu beeinflussen:
jede Leitung besteht aus ohmschen Widerstandsanteil (also wird die Spannung an der Leitung durch Wirkstrom beeinflusst) und, je nach Belastung, aus komplexem Impedanz-Anteil (also wird die Spannung an der Leitung auch durch den Blindstrom beeinflusst, der fließt!).
Bei geringer Belastung ist eine Leitung eher eine Kapazität (induktive Q-Bereitstellung), das erhöht die Spannung, und das Kraftwerk muss untererregt fahren (induktiv verbrauchen), um die Spannung wieder auf Normalmaß zu senken.
(parallel dazu: bei geringer Belastung ist der ohmsche Spannungsabfall an der Leitung geringer, also auch deshalb weniger Spannung am Generator nötig.)
Bei hoher Belastung ist die Leitung eher Induktivität, die Spannung sinkt, und das Kraftwerk fährt übererregt (stellt induktive Leistung bereit) um die Spannung zu erhöhen. Außerdem ist eh höhere Spannung nötig, da auch der ohmsche Spannungsabfall höher ist (Spannung ist erst jenseits des Hochspannungsnetzes fix, und dort eh noch durch Trafos regelbar.)
also wird der Generator im Kraftwerk nicht nur für a) geregelt (das regelt sich automatisch), sondern v.a. auch für b)!
Im Unterschied dazu:
Bei dezentraler Einspeisung im Niederspannungsnetz und hoher Belastung an dünner Leitung überwiegt der ohmsche Effekt, also Spannungserhöhung, obwohl die Leitung bereits ein induktiver Verbraucher ist und die Spannung senkt (minimal). Trotzdem muss der WR noch weiter induktiv verbrauchen, um die Spannung noch weiter zu senken!
Die Blindleistungseinspeisung des WR hat also nichts mit der Blindleistungskompensation für andere Verbraucher oder das Netz zu tun, sondern im Gegenteil zieht auch der WR noch induktive Blindleistung (zusätzlich zu Leitung und anderen Verbrauchern), weil damit die Spannung am Netzende unten gehalten wird (obwohl die Leitung durch mehr Blindstrom stärker belastet wird als vorher!!!)
Damit ist mir jetze klar, wieso die Kennlinie des WR auf untererregt vorgegeben ist.
eigentlich sollten das die Stufentrafos ausregeln wie folgt im Mittelspannungs-Netz, aber die gibt’s halt im NS-Netz kaum, und der ohmsche Anteil fällt da sehr ins Gewicht im Vergleich.
Im Gegensatz dazu das Mittelspannungs-Netz, da ist anscheinend keine Spannungsbeeinflussung gewünscht (weil die Spannung eh passt bzw. variabel eingestellt werden kann), sondern die Bereitstellung von Blindleistung für andere Zwecke (Verbraucher...), also muss die Spannungsänderung durch die Blindleistung sogar ausgeregelt werden:
ZitatAlles anzeigen...Wenn der Netzbetreiber jedoch den Bezug induktiver oder kapazitiver Blindleistung fordert,
werden die höheren Spannungsfälle an den reaktiven Anteilen der Kurzschlussimpedanz
maßgebend, und die Erwartungswerte der Spannungsänderung werden größer.
Bei Bezug induktiver Blindleistung (untererregter Generatorbetrieb) würde eine reduzierte
Spannung an der Mittelspannungs-Sammelschiene entstehen, die durch
die Stufenschalterregelung durch Reduzierung des Übersetzungsverhältnisses des
Netztransformators ausgeregelt wird....
alles sehr gut erklärt in: http://www.energiedienst-netze…terungen_BDEW_MS-Netz.pdf
Und nochmal das leidige Thema Blindleistungs-Nomenklatur, je nach Zählpfeilsysten (ZS):
-untererregt / übererregt ist eine eindeutige, fixe Aussage (= Erregerstrom in Synchronmaschine), unabhängig vom ZS.
-Phasenverschiebung phi ist immer phiU - phiI, phi hängt also von den Zeigerrichtungen und damit vom ZS ab!
-Induktiv (immer phi>0) bzw. kapazitiv (immer phi<0) hängen also ebenfalls vom ZS ab, ein Kondensator (=immer „übererregt“) ist im E-ZS phi>0, also induktiv, im V-ZS dagegen phi<0, also kapazitiv.
-Verbraucher-Zählpfeilsystem (= Strom und Spannung an passiven Elementen in gleicher Richtung gezählt: P positiv = Verbrauch durch das Element):
wird generell angewandt im Stromnetz, auch bei Erzeugern!
Mögliche Bezeichnungen im V-ZS (widersprechen sich gegenseitig!!):
1. eher akademisch, aber bei der Einstellung von PV-Wechselrichtern die einzig korrekte Benennung:
Q >0: Verbrauch von Blindleistung, Q<0: Bereitstellung von Blindleistung , dabei muss Art der Blindleistung extra angegeben werden: bei phi>0 induktiv (untererregt), bei phi<0 kapazitiv (übererregt).
a)Induktivität (Spule, untererregte Maschine, Asynchronmotor, stark belastete Leitung):
Q>0 und phi>0(ind), oder Q<0 und phi<0(kap) (Verbrauch induktiver Blindleistung = Bereitstellung kapazitiver Blindleistung).
b)Kapazität (Kondensator, schwach belastete Leitung, übererregt fahrende Maschine): Q>0 und phi<0(kap), oder Q<0 und phi>0(ind) (Verbrauch kapazitiver Blindleistung = Bereitstellung induktiver Blindleistung).
2. Praktisch verwendet, wenns nur um induktive Blindleistung und deren Kompensation geht:
Q>0 "Blindleistungsverbrauch" ist Verbrauch von induktiver Blindleistung (oder Bereitstellung von kapazitiver)
Q<0 "Blindleistungsbereitstellung" ist Bereitstellung von induktiver Blindleistung (oder der Verbrauch von kapazitiver).
a) Induktivität (Beispiele wie oben): Q>0 =obere Hälfte im Quadrantendiagramm
b) Kapazität: Q<0 = untere Hälfte im Quadrantendiagramm
3. dann gibts da noch die Spezialisten, die beim Kondensator von "kapazitiver Blindleistungsbereitstellung" sprechen, aber damit eigentlich sagen wollen: Das ist eine Kapazität, die folglich "Blindleistung" (=induktive Blindleistung) bereitstellt (oder anders gesagt kapazitive Blindleistung verbraucht)... so gelesen bei einem Netzplanungs-Spezialisten
Unglaublich, wie jeder sein eigenes Süppchen kocht, da hat man keine Chance was zu verstehen, wenn mann nicht vorher eh schon weiß was der sagen will!
(-Erzeuger-Zählpfeilsystem: (= Strom und Spannung an aktivem Elementen in gleicher Richtung gezählt: P positiv = Bereitstellung durch das Element):
wird nur noch bei Einzelbetrachtung von Synchronmaschinen verwendet.)
EDIT:
Hier noch die Bestätigung vom Profi:
Zitat von s0525866
Die Solarparks liefern regelmäßig Blindleistung. Im Falle des PV-Parks OL-Fliegerhorst ist es sogar so, dass dort der Standartwert - also der normale Dauerbetrieb - bei 0,95 untererregt (induktiv) ist.
Das Problem der zu hohen Spannungen (auch im Mittelspannungsnetz) ist hausgemacht von den Netzbetreibern. Deren Techniker haben festgestellt, dass die Leitungsverluste quadratisch zur höhren Spannung sinken. das führte dann dazu, dass viele Mittelspannungsnetze von 30 auf 33kV, 20 auf 21 kV oder von 10 auf 10,5 kV umgestellt wurden. Einfach um die Leitungsverluste zu minimieren. Nun gibts seit 20 Jahren vermehrt dezentrale Erzeugungsanlagen (DEAs), die genau diese Netzsituation ausnutzen und durch Anheben um ein paar Volt volleinspeisen. Einige DEAs haben dazu sehr lange Kabelwege, 10...15...20km ist keine Seltenheit. das führt dazu, dass die Spannung an den DEAs noch sehr viel höher ist als im öffentlichen Netz und dadurch der Netzbereiber durch Spannungsanhebung nicht mehr zentral den Stromfluss steuern kann. Seit dieser Erkenntnis gibt des die Systemdienstleistungsverordnung (SDL). Dieses ist aber kein Netzbetreiberdokument, sondern wurde von der Bundesregierung erlassen, sodass sich alle Hersteller dran halten müssen. Mit dem SDL wurde die Grundlage des Einspeisemanagement (EisMan) geschaffen.
Blindleistung ist ein Definitionsproblem, da induktiv und kapazitiv jeweils 2 Bedeutungen haben. In der Technik werden daher die eindeutigen Begriffe übererregt (induktiv im Erzeugerzählpfeilprinzip, kapazitiv im Verbraucherzählpfeilprinzip) und untererregt (kapazitiv im Erzeugerzählpfeilprinzip, induktiv im Verbraucherzählpfeilprinzip) verwendet. Im Englischen ist es ebenfalls eindeutig, dort wird übererregt als Import und untererregt als Export bezeichnet.
Edit: Auch von SMA gibts eine ausführliche Erklärung zu dem Thema, siehe hier ab S. 26: http://files.sma.de/dl/10040/PV-Netzint-ADE123016w.pdf (gesichert als Anhang dieses Beitrags)