In der Vergangenheit haben Generatoren (Synchronmaschinen) Dreiphasen-Wechselspannung erzeugt, Verbraucher haben entweder Wechselspannung benötigt (Synchron- und Asynchronmaschinen) oder die Spannungsform war egal (Glühlampen, Heizstäbe, Reihenschlussmaschinen). Dies, und die einfache Spannungswandlung und Vernetzung mit Transformatoren, hat Wechselspannungsnetze zum Standard gemacht.
Heutzutage erzeugen mehr und mehr Generatoren Gleichspannung (Photovoltaik) oder Wechselspannung anderer Frequenz (Windkraftanlagen), welche mit dem Umweg über Gleichspannung frequenzgewandelt werden muss. Gelegentlich werden sogar - meist kleinere - herkömmliche Kraftwerke (Wasserkraftwerke und Gaskraftwerke) über Frequenzwandler angeschlossen, damit der Arbeitspunkt (z.B. im Teillastbereich) angepasst werden kann. Moderne Speicher wie Batterien und Elektrolysatoren/Brennstoffzellen arbeiten mit Gleichspannung.
Auf Verbraucherseite wird auch immer mehr Gleichspannung eingesetzt. Unsere gesamte Elektronik benötigt Gleichspannung. LEDs benötigen Gleichspannung. Viele Maschinen werden nicht mehr direkt an das Netz angeschlossen, sondern über Frequenzumrichter mit Gleichspannungszwischenkreis. Viele Geräte die einphasig angeschlossen werden, können prinzipiell auf den Betrieb mit Gleichspannung ausgelegt werden ohne die Struktur zu ändern. Dies beinhaltet auch einphasig angeschlossene Motoren.
Ein Gleichspannungsökosystem mit Wechselspannung zu vernetzen ist ineffizient. Die Umwandlung zwischen Wechselspannung und Gleichspannung verursacht in aller Regel mehr Verluste und benötigt mehr Bauteile als die Umwandlung zwischen unterschiedlichen Gleichspannungen. Ein billiger Gleichrichter besteht aus einer Diodenbrücke mit Glättungskondensator und anschließendem DC-DC-Wandler. Da dies massiv Verzerrungsblindleistung erzeugt und daher negative Rückwirkungen auf das Netz hat und zusätzliche Verluste erzeugt, ist diese Form der Gleichrichter inzwischen per Gesetz auf 75W begrenzt. Für höhere Leistungen muss eine Power-Factor-Correction vorgenommen werden, was im Prinzip einem der Diodenbrücke nachgeschaltetem DC-DC-Wandler entspricht, welcher jedoch zunächst auf ein höheres Spannungsniveau wandelt, so dass ein weiterer DC-DC-Wandler nötig ist. Alternativ kann ein Vier-Quadranten-Steller verwendet werden. Zur Potentialtrennung wird i.d.R. nach der Gleichrichtung ein HF-Trafo eingesetzt. LF-Trafos, also Transformatoren die mit Netzfrequenz arbeiten sind für niedrige Leistungen schwer, groß, teuer und ineffizient und werden daher nur noch selten verbaut.
Einige kommerzielle Gebäude, vor allem solche mit hohem Stromverbrauch, wie Rechenzentren, verwenden inzwischen DC-Inselnetze mit zentralem Gleichrichter. Dies sorgt für eine Effizienzsteigerung, auch wenn gar keine Gleichspannungsgeneratoren vor Ort installiert sind, da der zentrale Gleichrichter eine höhere Effizienz hat, als viele, kleinere, dezentrale Gleichrichter. Eine gängige Spannung ist 380V.
DC-Netze mit Spannungen von 380V (+-190 V ohne Neutralleiter oder +380V und 0V) und +-380V (mit Neutralleiter, einphasig und zweiphasig verwendbar, zweiphasig also 760V) sind aktuelle Forschungsgebiete.
https://www.iisb.fraunhofer.de…chiv_2017/icdcm-2017.html , wer ieeexplore-Zugang hat kann sich auch diese Veröffentlichungen anschauen: 07467870, 07499395, 07981063, 08001035.
Warum diese Spannungen?
+-380V kann ohne zusätzliche DC- oder AC- Wandlung von einem Umrichter verwendet werden (speisend wie verbrauchend). Das liegt daran dass die effizientesten und einfachsten Spannungswandler immer nur in eine Richtung wandeln können - da Wechselspannung alle Spannungen zwischen dem positiven und dem negativen Spitzenwert aufweisen kann, muss also die Gleichspannungsseite eine höhere Spannung haben. Bei 230V AC kommen wir auf eine Amplitude von 325V mit einer Toleranz von +-10% also auf 357,5V. Das lässt noch etwas Platz für die Regelung und für Spannungsabfälle über den Filtern. Für positive und negative Halbwelle brauchen wir natürlich auch eine positive und negative Gleichspannung. Für Länder mit Netzspannungen von 100-120V führt dieselbe Rechnung auf einen sinnvollen Wert der DC-Spannung von +-190V, also insgesamt 380V. Auch kann zwischen 230V (einphasig) und 380V DC umgewandelt werden, hierfür benötigt es allerdings Potentialtrennung, wenn man verhindern möchte, dass auf einer Seite die Potentiale springen.
Diese oder ähnliche Spannungen werden bereits jetzt intern von vielen Geräten verwendet.
Was Sicherheit betrifft hat +-380V DC sowohl Vor- als auch Nachteile gegenüber 230V AC. Einerseits ist Gleichspannung für Menschen wesentlich ungefährlicher als Wechselspannung - es braucht ca. zwei bis vier mal so viel Gleichstrom wie Wechselstrom um ähnliche Schäden hervorzurufen, außerdem senkt Wechselspannung den Widerstand des menschlichen Körpers so dass bei gleicher Spannung höhere Ströme fließen. Andererseits erlöschen im Fehlerfall bei Gleichstrom Lichtbögen nicht oder später als bei Wechselstrom, da der Nulldurchgang fehlt, wodurch Gleichstrom ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen leichter zu Bränden führt.
Damit wären wir auch bei dem größten Nachteil von Gleichspannung im Haushalt: sie zu schalten, ob mit mechanischen Schaltern oder Steckern, ist nicht so trivial wie das Schalten von Wechselspannung. Allerdings enthalten viele Haushaltsgeräte, vor allem die, die einen Vorteil von Gleichspannungsversorgung hätten, zur Spannungswandlung Halbleiter durch die der gesamte Strom fließt. Es muss also sicher gestellt werden, dass die Halbleiter abschalten bevor die mechanische Verbindung getrennt wird. Konzepte für entsprechende Stecker existieren bereits, Schalter sind weniger problematisch.
In welcher Form könnten nun DC-Netze beim Verbraucher Verwendung finden?
1. Im einfachsten Fall ist das Netz auf ein Gebäude beschränkt (nanogrid). Angeschlossen werden vor allem Generatoren und Lasten mit vergleichsweise hohen Leistungen, wie die MPP-Tracker einer PV-Anlage, Ladestationen für Elektroautos, Kleinwindanlagen, Batterien und natürlich Umrichter. Gleichstromsteckdosen (außer für's Auto) gibt es keine, für den Verbraucher ändert sich dadurch nichts. Solch eine Lösung entwickelt die Firma http://www.ferroamp.com. Des weiteren könnten Geräte wie modulierende Wärmepumpen (braucht Umrichter für drehzahlvariablen Motor) und Beleuchtung angeschlossen werden, dafür entwickelt Ferroamp aber wohl noch nichts.
2. Ein solches Netz könnte auf die Größe eines typischen Niederspannungsnetzes ausgeweitet werden. Damit würden sich im Fall von +-380V Schieflasten besser ausgleichen und Leistung zwischen Haushalten kann ohne Umwandlung in Wechselstrom ausgetauscht werden. Ladestationen auf der Straße und Straßenlaternen können ebenfalls versorgt werden.
Der nächste sinnvolle Schritt wäre natürlich, auch kleinere Lasten mit Gleichspannung zu versorgen, dafür braucht es aber einen entsprechenden Stecker - dafür gibt es wie bereits erwähnt schon einige Entwürfe.
4. Der Schritt zu Verteil- und Übertragungsnetzen auf Gleichspannungsbasis wäre wegen einfachen Spannungswandlung und Vernetzung von Wechselspannungsnetzen eher in ferner Zukunft zu sehen - auch wenn wir auf Höchstspannungsebene mehr und mehr Gleichstrom sehen werden, vorerst allerdings nur als Trassen mit Konverterstationen an beiden Enden. Sollten DC-DC-Wandler für hohe Leistungen billiger werden, wird aber wohl auch unterhalb der Höchstspannungsebene mehr Gleichspannung verwendet werden.
Auch auf Niederspannungsebene wird Wechselstrom nicht so bald verschwinden. Ich sehe vor allem den Fall 1. in Naher Zukunft, da hierfür lediglich entsprechende Planung, aber keine zusätzliche Investition in Netze nötig ist. Damit Geräte dafür von mehr als einer Firma hergestellt werden können, bedarf es aber der Standardisierung, ich hoffe die IEC veröffentlicht bald einen entsprechenden Standard. Für den 2. Fall braucht es ein Kommunikationsprotokolls um parallele Generatoren, Speicher und regelbare Lasten zu koordinieren. Bei Wechselspannung übernimmt die Blindleistung diese Rolle, bei Gleichspannung fällt diese weg. GGf könnte auch ein zentraler Stromrichter die Spannung regeln, Geräte müssen dann lediglich bei Über- bzw. Unterspannung abschalten.
Die Vorteile zusammengefasst:
- Mit 380V DC lassen sich bei höherer Sicherheit für Personen 40% mehr Leistung über denselben Kabelquerschnitt übertragen als mit 230V AC
- Höhere Effizienz und weniger Umwandlung (=reduzierte Kosten, aber sicher erst nachdem die Technik etabliert ist)
- Die Blindleistung fällt weg. Blindleistung verursacht Verluste und reduziert die maximal übertragbare Leistung. Verzerrungsblindleistung verursacht zusätzlich Netzrückwirkungen, die sogar Schäden an Generatoren und Transformatoren verursachen kann. Blindleistung als Regelgröße ist dank moderner Kommunikation veraltet und ineffizient.
- Höhere Effizienz von Verbrauchern und Erzeugern (Manche Quellen nennen Effizienzsteigerungen von 20-30% in Datenzentren). Wandler werden eingespart.
- Bietet eine Chance, die unterschiedlichen Standards der Welt (100-240V, 50Hz, 60Hz) zu vereinheitlichen.
- Einfache Pufferung mit Kondensatoren
- Höhere Spannungsqualität und Zuverlässigkeit: Dank gesteuerter Leistungselektronik kann das Spannungsniveau in einem kleineren Band gehalten werden als das bei heutigen Netzen der Fall ist. Entlegene Ortschaften können bei zu niedrigen Spannungen sogar Stromausfälle erleiden. In einem Test in Finnland wurde ein +-750 V DC Netz aufgebaut um die Spannungsversorgung in einer ländlichen Gegend zu verbessern. Die Spannung wurde allerdings nah bei den Verbrauchern wieder in Wechselspannung umgewandelt, Gleichspannung stand den Haushalten nicht zur Verfügung. Die Gesamteffizienz des Systems lag unter der eines vergleichbaren reinen Wechselspannungssystems, was wohl vor allem an dem schlechten Wirkungsgrad der Wechselrichter lag. https://webhotel2.tut.fi/units…Jenni_DC-distribution.pdf
Die Nachteile zusammengefasst:
- Stecker und Schalter sind problematisch - Lösungen existieren, sind aber mit Mehrkosten verbunden. Aufgrund der ohnehin enthaltetenen Halbleiter der meisten Geräte vielleicht aber weniger problematisch.
- Regionen der Welt, die vorwiegend Geothermie und Wasserkraft einsetzen und daher wenig verteilte Gleichstromerzeuger haben, werden ein geringeres Interesse haben und entsprechende Standards evtl. nicht umsetzen, daher weitere Diversifizierung bisher eingesetzter Standards.
- parallelbetrieb vorerst nicht vermeidbar (ist aber bei jeder Umstellung so).
- Phasenanschnittdimmer funktionieren nicht mehr. Dies sehe ich nicht als Nachteil. Phasenanschnittdimmer erzeugen Blindleistung und es gibt bessere Alternativen. LED-Leuchten können damit ohnehin nicht umgehen, da sie konstante Spannung brauchen und per PWM gedimmt werden. "Dimmbare" LEDs emulieren das Verhalten von Glühlampen lediglich mit einem Controller der den Phasenanschnitt erkennt. Effizient ist das sicher auch nicht.
Das Thema habe ich schon einmal diskutiert, allerdings ohne Quellen und mit wesentlich weniger Fachverständnis. Ich habe inzwischen viel dazu gelernt und bin zu vertiefenden Diskussionen in der Lage.
Grüße,
Malte