Braucht die Energiewende einen "Masterplan"?
Ist die Energiewende eine große Maschinerie, kompliziert aber im Prinzip mit genug Studien und ausreichendem Intellekt plan- und vorhersagbar? Oder ist die Energiewende ein Ökosystem von Akteuren und Technologien, die sich in komplexer Weise gegenseitig beeinflussen und kontinuierlich weiter entwickeln?
An diesen Fragen entscheidet sich, brauchen wir einen "Masterplan" für die Energiewende, mit eng gesetzten Zielen, die rigoros angesteuert werden? Oder brauchen wir vielmehr eine übergreifende Vision mit Leitlinien, innerhalb derer sich eine evolutionäre Entwicklung von Akteuren und Technologien ergeben kann. Die Steuerung erfolgt dann durch "Hegemaßnahmen" am Ökosystem Energiewende, die allzu extreme Entwicklungen eingrenzen, und gewünschte Entwicklungen und neue Mutationen ermutigen.
In "A Leader's Framework for Decision Making" (https://hbr.org/2007/11/a-lead…ework-for-decision-making) haben David J. Snowden und Mary E. Boone die unterschiedlichen Situationen und Entscheidungsansätze hervorragend herausgearbeitet.
Eine deutsche Zusammenfassung der Strategien für eine komplexe Welt findet sich hier : http://blog.brightone.de/cx/20…e_komplex_cynefin_teil-1/
Ganz kurz zusammengefasst:
Die Art der Entscheidungsfindung hängt von der Art der Situation ab:
Bei einfachen Problemen ist die Lösung offensichtlich. Vom Problem zur Lösung sind es wenige einfache Schritte, die mit Fokus auf Effizienz und "Best Practice" erledigt werden: wahrnehmen - einordnen - reagieren.
Bei komplizierten Problemen ist die Lösung zwar nicht offensichtlich, und vielleicht auch schwer zu finden, jedoch lässt sich das Problem mit ausreichendem Aufwand und Intellekt analysieren und mindestens eine angemessene Lösung bestimmen. Dies ist die Domäne der Experten, die erforderlichen Schritte sind wahrnehmen - analysieren - reagieren
Anders ist es bei komplexen Problemen. Hier beeinflussen sich die Elemente gegenseitig, Entwicklungen sind pfadabhängig und damit auch mit größtem Aufwand und "perfektem" Wissen nicht eindeutig vorhersagbar. Hier ändern sich nicht nur die Inhalte, sondern auch die Entscheidungsrahmen und -parameter ständig. Hier muss man Rahmenbedingungen setzen, die gute Entwicklungen anregen, schlechte Entwicklungen eindämmen und neue Entwicklungen ermöglichen, sowie Experimente anstoßen und beobachten, die Bestehendes testen und neue Entwicklungen hinzufügen. Sorgfältige Beobachtung erlaubt dann ein Nachsteuern der Rahmenbedingungen, wo erforderlich: sondieren - wahrnehmen - reagieren
Chaotische und verwirrte Situationen runden den Denkrahmen ab, sind aber in unserem Zusammenhang nicht unmittelbar relevant.
Betrachtet man die Energiewende mit diesem Denkmodel im Hinterkopf, wird schnell klar, dass es sich beim Übergang des Energiesystems hin zu 100% Erneuerbaren um ein komplexes Problem handelt, und nicht nur um eine kompliziertes. Selbstverstärkende Zusammenhänge wie die Lernkurven für neue Technologien, also die Kostensenkung in Abhängigkeit der kumulierten Installationen, führen zu unvorhersagbaren Entwicklungen. Ohne die frühe Förderung der Photovoltaik hätte z.B. Concentrated Solar Power (CSP, solare Parabolrinnen- und Turmkraftwerke) eventuell eine Chance gehabt. Wäre CSP früher auf die Lernkurve eingestiegen als PV, hätten schnelle Kostensenkungen hier zuerst stattgefunden und CSP hätte die Photovoltaik möglicherweise abgehängt.
Hätten sich Brennstoffzellen schneller zur Marktreife entwickelt und damit Kraft-Wärmekopplung einen entscheidenden Schritt voran gebracht, hätte sich die langsam immer deutlicher als sinnvoll wahrgenommene Kombination aus Solar- und Windstrom mit Wärmepumpen vielleicht nie gezeigt. Zudem wären wir jetzt möglicherweise an der Schwelle zu Wasserstoff-getriebenen Fahrzeugen auf Basis von Brennstoffzellen statt, wie immer deutlicher wird, an der Schwelle zur e-Mobilität.
Die schlechteste Reaktion auf ein solches System ist der Versuch mit immer komplizierteren Regeln eine nicht erreichbare Vorhersagbarkeit zurückzugewinnen. Ein schwerer Fehler ist es, die Akteursvielfalt einzugrenzen und zu früh auf Gewinner-Technologien zu setzen. Ein unverzeihlicher Fehler ist es zudem, die Kraft des Ökosystems Energiewende zu unterschätzen, und mit untauglichen Mitteln wie einem Cap-and-Trade System Minimal-Ziele zu Maximal-Zielen zu machen, deren Überschreitung automatisch zur Verlangsamung der Entwicklung führt. Idiotisch gar die Idee per Formel den Zubau mathematisch zu begrenzen, wie im Eckpunktepapier zum EEG 2016 vorgeschlagen.
Rigide, komplizierte Regeln führen meist zu einfachem, dummem Verhalten und damit zu sub-optimalen, wenn auch vielleicht besser vorhersehbaren und "kontrollierbaren" Lösungen.
Was wir in einem komplexen System brauchen sind einfache, klare Regeln zur Unterstützung gewünschter Entwicklungen, denn einfache, klare Regeln befördern komplexes, intelligentes, emergentes Verhalten. Wir brauchen ein Portfolio von "Experimenten" und Entwicklungen mit einer Offenheit für die parallele Entwicklung mehrerer, auch scheinbar konkurrierender Lösungen, und eine Toleranz für das Scheitern einiger dieser Ansätze.
Auch unkonventionelle, naive und kontra-intuitive Experimente müssen ihren Platz haben, damit sich im Ökosystem Energiewende neben den entsprechenden Landschaften für die dominierenden Spezies auch Tümpel im Unterholz bilden, in denen neue Spezies eine Chance haben, sich zu entwickeln und sich später mit den dominanten Entwicklungen zu messen.
Was bedeutet das konkret? Was wären zur Zeit die 5 einfachen Regeln und Randbedingungen für das Ökosystem Energiewende? Meine Sicht der Dinge folgt in den kommenden Tagen.
Gruß
Jochen